Ich mag Deutschland
Auf SpOn gab es kürzlich einen Artikel über den Rapper Fler und seine stumpfe Deutschtum-Masche. Klar, SpOn regt sich über diese Art von nationalistischer Vermarktung tierisch auf. Ich finde Fler und sein "stolzer Deutscher" Image ja auch eher peinlich und primitiv. Aber man kann eh nur müde darüber lächeln, da Fler ja aus dem Hause Aggro Berlin stammt, wo ja die Einwanderersöhne Sido, B-Tight und früher auch mal Bushido unter Vertrag stehen. Aggro Berlin ist mittlerweile ein ziemlich einträgliches Geschäft geworden, die Platten der Aggro Künstler verkaufen sich wie Hasch auf'm Internat und jeder Rapper bekommt halt ein gewisses Image auferlegt. Fler ist also der Proll-Deutsche. So what? Werden jetzt die Kids die Texte falsch verstehen und alle verwandeln sich in Nazis? Nein, es ist nur eine alberne Marketingkampagne für recht bescheidene Musik. Und jetzt kommt's:
Schadet es den Kids mal eine Deutschlandfahne im Musikvideo zu sehen?
"Oh, burger, was willst du uns denn jetzt schon wieder verklickern? Bist du etwa 'ne recht Sau?"
Blödsinn, natürlich nicht. Aber ich rege mich diese Tage, ach was, die letzten Jahre tierisch auf. Dieser schmale Grad zwischen deutschem Nationalstolz und rechter Gesinnung ist doch immer noch sehr sehr schmal. Für mich zu schmal. Ich mag Deutschland! Ich fiebere für Deutschland beim Fußball, beim Basketball, bei den olympischen Spielen. Ich besitze keine Deutschlandflagge, werde mir aber für den Sommer 2006 eine kaufen. Ich hasse Nazis und ihre hohlen Birnen, bin aber trotzdem froh in diesem wunderbaren Land zu leben. Da bin ich aber anscheinend einer von wenigen.
Uns geht es ja angeblich zur Zeit sehr schlecht, Millionen von Arbeitslosen schimpfen über Harz IV und sogar unser Bundeskanzler hat jetzt wohl das Handtuch geworfen. Das Wetter ist immer beschissen, die Lebensmittel zu teuer, die Steuern zu hoch. Pisa-Studien zeigen wie doof die deutschen Schüler sind und auf dem Pausenhof wird an Satzanfang und -ende ein "Aldder" gesetzt. Sogar die deutsche Musiklandschaft ist ja rettungslos verloren, da ja beim Eurovision Song Contest Gracia auf dem letzten Platz gelandet ist.
Hmmm. Ich bin in Englang geboren. Hab 10 Jahre in Südamerika gelebt. Und 2 Jahre in den USA. Habe so ca. 30 Länder besucht und wunderbare Kulturen kennengelernt, mich mit vielen verschiedenen Menschen ausgetauscht und ich muss noch ziemlich viel von diesem Planeten in den nächsten Jahren erkunden. Aber eines sag ich euch: Deutschland ist das wunderbarste Land der Welt. Ich mag Deutschland.
Die Armut ist verschwindend gering, das Sozialsystem ist immer noch vorbildlich, unsere Biere ein Genuß. WIr fördern maßgeblich die Völkerverständigung, helfen mit Milliarden bei der Entwicklungsarbeit in der Dritten Welt, haben immer die europäische Vereinigung gefordert und bauen die besten Automobile der Welt. Ich habe keine Studiengebühren zahlen müssen und war auch schon mit meinem hessischen Abitur immer noch schlauer als die meisten europäischen Mitbürger. Sogar deutsche Musik wie Beginner, Wir sind Helden und den Sportfreunden finde ich scheißencool. Und es kommt immer mehr gute "Volksmusik" aus deutschen Studios.
Aber ich darf nicht laut verkünden, daß Deutschland megageil ist? Unsere Kultur, die wunderbare Landschaft - oft lächeln sogar die Deutschen einen freundlich an. Uns wird suggeriert das wir wegen unserer Vergangenheit uns nicht mit unserem Land brüsten dürfen. Kriegsende war zwar vor 60 Jahren, aber wegen unserer Großeltern ist es immer noch gesellschaftlich kritisch wenn wir eine Deutschlandfahne am Balkon hängen haben. Bullshit!
Ich hab keinen Bock mehr auf diese ewige empfindliche Debatte. Etwas mehr nationale Identität würde Deutschland und den Deutschen wahrlich gut tun. Heute starte ich meinen minikleinen Beitrag im burger-blog:
Ich mag Deutschland!
Aber: Soweit ist das recht natürlich, da ich hier geboren wurde und hier aufgewachsen bin. Niemand verlässt gerne für immer sein Geburtsland, glaube ich, selbst wenn es diesem Land wirtschaftlich schlechter geht als anderen. Man hängt an seinem Geburtsort (ok, bei dir ist das anders, du hast da andere oder mehr Erfahrungen).
Ich glaube dennoch sagen zu können, dass mich "nationale Identität" nicht betrifft und nicht interessiert. Übrigens bei Deutschen so wenig wie bei Engländern oder Polen.
Ja, na klar, ich bin Deutscher und dafür schäme ich mich kein bisschen, aber ich lebe in einer vernetzten Gesellschaft und bin durch viele verschiedene Kulturen beeinflusst und sozialisiert, die ich streckenweise besser kenne und mehr lebe als ihre deutschen Equivalente.
Ich bin mit englischer und amerikanischer Musik aufgewachsen und noch heute sehe ich keine Band in diesem Land hier, die (egal wie man die alle finden mag) dem Schaffen der R.E.M.s oder auch der Robby Williamse der Popwelt etwas entgegen zu setzen hat. Blöderweise war die Musik, die in dieser Hinsicht etwas anders gemacht hat, eine, mit der ich nie groß was anfangen konnte: Techno. Muss ich aber auch nicht. Die Welt ist groß. Nicht nur in musikalischer Hinsicht.
Was ich sagen will: Im Popbereich bin ich Brite. Bei Technologien bin ich neophil, also Ami, aber auch gerne kritisch, also Deutscher. Ich wünschte, ich würde mich hinsichtlich meiner Ernährung asiatischer verhalten und hätte die Streikkultur der Franzosen. wäre ich ein bisschen mehr Finne, würde ich deren Humor besser verstehen, und wenn ich mich politisch zumindest im Bereich Arbeitsvermittlung umsehe, bin ich neidisch auf die Schweden. Hach, und wenn Russen feiern... Mann, da muss man doch als Deutscher rot werden.
Ich brauche keine nationale Identität. Ich brauche ein wachsendes Verständnis für die Großartigkeit der Vielfalt. Wenn das die kritische Masse in Deutschland auch so empfindet, dann leb ich nochmal viel lieber hier, als ich es ohnehin schon tue.
Warum dann in Berlin bleiben?
Das mit der "nationalen Identität" scheint von mir aus übertrieben. Klingt ja auch nach wie vor doof. Aber ich hab's satt das wir Deutschen immer so auf unser Land prügeln. Viele begreifen einfach nicht dass nur eine kleine Adjustierung helfen würde, so manche Barriere in unseren Köpfen zu mindern und mit einer positiven Grundeinstellung die eigene Misere deutlich zu verbessern.
Ihr habt was gegen die Reformen? -> Geht in die Politik und bewegt was!
Ihr regt euch über Pisa auf? -> Verbringt mehr Zeit mit euren Kindern und achtet auf die Auswahl an Fernsehsendungen!
...
Ich mag Deutschland und uns stehen sämtliche Türen offen dass wir zukünftig auf dieses Land weiterhin (oder wieder) stolz sein dürfen!
kauf ich
Seit dem müssen die ständig auf Samplern gg. alles Böse auftauchen, um je wieder rehabilitiert zu wreden.
Aber für was eigentlich?
Sicher geht es uns im Vergleich zu den meisten anderen Ländern dieser Welt recht bzw. sehr gut.
Aber versuch das mal einem Arbeitslosen zu erklären der jeden Monat versucht seine Familie irgendwie durchzubringen und vergeblich versucht einen Job zu finden. Ich denke da kann man die Abneigung in gewisser Weise schon verstehen, wobei hier wohl eine Abneigung gegen die Regierung besteht, nicht gegen das Land selber.
Was diese Land aber auch gut brauchen könnte, dass ist etwas mehr Selbstverantwortung (gibts das Wort überhaupt??) jedes einzelnen. Du hast das schon angesprochen mit den Eltern die sich mal mehr um ihre Kinder kümmern sollten. Ich denke da sind uns andere Ländere voraus, da wird Familie einfach groß bzw. größer geschrieben. Sicher kann man das auch übertreiben, aber ich denke hier sind wir Deutsche etwas hinten dran und das führt dann eben zu, ich nenne es mal, Volksverdummung. Anders kann man ja die momentane Situation in der Tv- und Musiklandschaft nicht nennen.
Aber ich denke mit etwas positiver Einstellung könnte man druchaus die Situation in Deutschland ändern, aber das muss man den ganzen Schwarzmalern erstmal klar machen.
ciao psysp
Man sollte aber nicht glauben, dass man in anderen Ländern plötzlich nichts mehr mit den täglichen Problemen zu tun hat oder dass in anderen Staaten die Politik oder die Wirtschaft besser ist. Probleme mögen sich verschieben und das Wetter ist vielleicht in Spanien oder Kalifornien besser. :) Aber kümmern muss man sich überall und ehrlich gesagt kenne ich Deutschland am besten, kann also hier besser ansetzen. "Ich bleibe hier, bis man meine Anwesenheit spürt", hat jemand schlaues gesagt, dessen Name mir entfallen ist.
Das mit der Eigenverantwortung ist ein schweres Thema... "In die Politik gehen" ist unmöglich für jemanden, der einem Beruf nachgeht. Und sorry, dafür geht er ja wählen, um sich in der Politik vertreten zu lassen. Dass sich viele Leute schlicht nicht mehr gut vertreten fühlen, ist das Problem.
Auch der Appell an Eltern ist grundsätzlich richtig, aber denkt bitte daran, dass es Familien gibt, in denen beide Elternteile arbeiten müssen, um über die Runden zu kommen. Die Fürsorge und Erziehung der Kinder liegt dann zu einem Teil beim Staat oder privat organisierten Institutionen, denen man vertrauen können muss. Und das ist ein heikles Thema, mit dem ich auch gerade sehr beschäftigt bin, denn hier wird gekürzt ohne Ende und das wird mit der CDU nicht besser. In diesem Bereich gibt es Beispiele ohne Ende aus den europäischen Nachbarländern, die Deutschland um Längen voraus sind. Frankreich, die Niederlande, Dänemark und Schweden sind besonders zu nennen, und da geht es nicht darum, dass dort "die Familie größer geschrieben wird", sondern dass die Betreuungs- und Erziehungsunterstützung um ein Vielfaches besser ist als hier.
Volksverdummung per Medien findet überall statt. Jeder kann selbst aussuchen, was er lesen oder sehen will, mehr Kultur und freie Information als in Deutschland kann man kaum haben.
Ich würde in jedem anderen Land der Welt auch nörgeln. Denn es gibt immer etwas zu verbessern und "nationales Bewusstsein" ändert kein Land.
Fler erregt die Gemüter
Unter 'von Deutschland in den A* gef*' hat Wikipedia sein Foto eingescannt, schaut mal nach.
Dieser Mensch kann Deutschland gar nicht lieben, es sei denn aus Trotz, so wie ein ängstlicher geprügelter Hund, der nichts besseres kennt.
Also wieder zum Altmeister: alle auf Katamarane und um die Welt segeln lassen. Die zu Deutschen Wesen sollen an der Welt genesen!
Guter Artikel auch vom General. Müsste man direkt mal ein Lied draus machen und in rechten Kreisen verteilen. Damit würdest du wahrscheinlich einige von den Dumpfbacken zum weinen bringen.
Und es zeigt mal wieder wie wichtig die Eltern in der Entwicklung der eigenen Kinder sind.
mein lieber burger...
und musik: wir stehen in deutschland ja erst am anfang einer popmusikalischen historie. die engländer und die amis sind uns da jahrelang voraus. kein wunder: im nachkriegsdeutschland hatten die leute eben mehr bock auf alm und schlager und friedefreude statt auf bluesigen memphisrock. bei uns ging ja erst was mit krautrock und electropop in den siebzigern. und diese 20 jahre diskrepanz merkt man halt. aber kettcar, madsen, 2raumwohnung, adolf noize, bosse, nachlader, helden, meinetwegen auch juni oder silbermond... da geht schon was johnny. jedenfalls mehr als vor 10 jahren. und techno: von kraftwerk-deutschland noch juanatkins-detriot und dann wieder reimportiert - und dann kam marusha und hat das alles zerdeppert. egal.
Verlinkung?
Echt geile Aussage, ich finde auich dass man nicht immer nur rummeckern sollte, immerhin leben wir hier im Gegensatz zu anderen Leuten in anderen Ländern wie die derbsten Millionäre.
Eigentlich wollt ich fragen ob ich diesen Eintrag verlinken kann? Natürlich mit dem Button!
El Simon
http://elsimonblog.chill.to
Ich komm mit Sicherheit auf dich zurück.
PS: Bin schon seit dem "Jenna Bush zeigt ihren Busch" Beitrag fester Leser deines Blogs.
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